Denkbare Heimvolkshochschulen nach europäischen Richtlinien sollten von ihrer jeweiligen Region geprägt sein
Unmittelbar nach der Wahl zum Europaparlament schrieb Die Zeit an die Stimmungsmacher der Sozialdemokratie und an andere auf dem linken Flügel:
„Für die Linke ist das Bildungswesen vorrangig – aber warum belebt sie nicht den Austausch und wandelt in jedem EU-Land eine große Hochschule zur Europa-Universität um, deren Präsident jeweils aus einem anderen Land der EU käme? Ein solches akademisches Netz würde europäische Nähe und Identität stiften.“
(Die Zeit, Seite 1, 17. Juni 1999).
Ausgangspunkt des Artikels war, daß der linke Flügel den Unternehmergeist verloren hätte und es eine Reihe von Gründen gäbe, diesen wieder zu beleben. Der sozialistische Block im Europa-Parlament hätte bei der Wahl am 11. Juni an Boden verloren. Der springende Punkt wäre (und ist es noch immer), daß die europäischen Sozialdemokraten eines Projektes bedürfen.
Der Vorschlag motiviert sich also aus zwei Aspekten: (1) Man müsse sich von den bürgerlichen Parteien absetzen, (2) man bedürfe einer europäischen Nähe und Identität. Der Weg zum Erfolg liege offenbar in der Form. Menschen träfen sich, eine europäische Identität entstünde, die Universitätswelt sei zufällig gewählt; es könnte auch überall anders sein.
Es werden andere Initiativen mit Europa-Bezug auf dem (Aus-)Bildungssektor entstehen. Wenn die EU-Kommission kein Mandat hat, auf Unterrichtsinhalte und auf den Aufbau von Ausbildungssystemen einzuwirken (Amsterdam §149), dann werden derartige Initiativen einfach von anderer Seite kommen. In diesem Fall also von der Zeitung Die Zeit.
Nicht nur Die Zeit sieht einen wesentlichen Teil des Inhalts aus der Form folgen. Auch die Europa-Politiker tun dies. Aus diesem Grund wird auch eine inhaltsbestimmte (Aus-) Bildungspolitik betrieben, weil man nicht darauf setzt, die Schotten zwischen Form und Inhalt wasserdicht machen zu können.
So ist beispielsweise das neue Youth-Programm konzipiert mit dem Hinweis auf §149 des Amsterdam-Traktats, der die volle Verantwortung der Mitgliederstaaten für die Unterrichtsinhalte festlegt. Aber zugleich wird in den Richtlinien des Youth-Programmes darauf hingewiesen, daß der Jugendaustausch zum gegenseitigen Vertrauen und zur Solidarität unter jungen Europäern beiträgt. Form und Inhalt gehen Hand in Hand.
So, es ist nicht unbedingt das Wissen, das man während eines Austauschaufenthalts sammelt, um das es geht. Es ist die Erfahrung, die von der Form garantiert wird – die Tatsache, daß man für eine gewisse Zeit ein anderes Zuhause hat. Jugendliche werden so zu guten EU-Bürgern ausgebildet.
Wir können ebensogut einsehen, daß eine europäische (Aus-)Bildungspolitik bereits begonnen hat. Unglücklich ist jedoch, daß der Inhalt dieser (Aus-)Bildungspolitik zentral bestimmt wird.
Man stelle sich etwa einen Kurs vor, der den Europäern bewußt machen soll, daß es mehr im Leben gibt als das Arbeitsleben und daß all das Gerede von der Wissensgesellschaft und vom Lernen fürs Leben in Wahrheit den Bedarf des Kapitals und der Arbeitsgeber für Menschen widerspiegelt, die den Job wechseln können, sobald der Markt dies erfordert. Dies ist nur ein Beispiel! Ein solcher Kurs, denke ich, würde von keinem der EU-Programme Unterstützung erhalten, weil er der Politik zuwiderliefe, die im Weißen Buch über die Bildungsgesellschaft vorgestellt wird („Teaching and learning – Towards the learning society“), und dem Papier über die Wissensgesellschaft („Towards a Europe of knowledge“) usw.
Wenn man Zuschüsse von den Ausbildungsprogrammen der EU erhalten will, muß die Initiative in Übereinstimmung stehen mit dem politischen Profil des Programmes sowie der gesamten Politik der EU. Die Programme sind zentral bestimmte politische Steuerungsmechanismen. Und sie sind es, weil es unser Wunsch war.
Athen-Traktat fördert die Einrichtung von community colleges
Wenn es unser Wunsch ist, eine nichtexklusive europäische Identität zu schaffen, die mit dem Geist des Subsidiaritätsprinzips übereinstimmt, die das Ideal von einer Identität der Gleichheit und der Differenz in die Praxis umsetzt, die am Dezentralismus auf dem (Aus-)Bildungssektor festhält und die allen Bürgern Europa zurückgibt, anstatt nur die akademischen Leser der Zeit sich als Europäer fühlen zu lassen, dann wäre es vielleicht vernünftig, bei Gelegenheit den §149 des Amsterdam-Traktats zu revidieren.
Wir brauchen Institutionen, die diese Aufgabe lösen können. Wenn 2006 (2004) die EU-Programme dieser Periode auslaufen, sind wir mit unserer Arbeit vielleicht dahin gekommen, daß wir ein neues Traktat verabschieden können – das Athen-Traktat, das den Institutionen auf dem (Aus-)Bildungssektor die Ablösung der existierenden Programme zusichert. Die Institutionen sollten Bildungsinstitutionen sein, die jene identitätsstiftenden Aufgaben übernehmen, die zuvor die Programme verfolgt haben. Anders als in den Programmen sollte der Inhalt dezentral bestimmt sein, während der institutionelle Rahmen ein Traktattext sein sollte, über den die Kommission dann angemessen wachen könnte. In den gegenwärtigen Programme ist es genau umgekehrt: Der Inhalt ist zentral bestimmt, die Administration ist zum Teil dezentral.
Der Athen-Traktat fördert vielleicht die Einrichtung von community colleges, die folgende Charakteristika aufweisen:
- Die europäischen community colleges haben ihren Ausgangspunkt darin, daß eine Gruppe von europäischen Bürgern eine Idee haben. Ihre Idee ist, daß ein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Ideologie von Interesse für alle Europäer ist. Die Schule ist verpflichtet, die Umsetzung dieser Idee zu verfolgen, aber man sollte doch dafür argumentieren können, daß diese Idee von allgemeineuropäischem Interesse ist.
- Community Colleges sind Heimvolkshochschulen (højskoler), wo längere Kurse stattfinden, idealerweise von mindestens einmonatiger Dauer. Ein längerer Heimvolkshochschul-Aufenthalt, weil dies nach allgemeiner Ansicht die Garantie dafür ist, daß der europäische Dialog, der charakteristisch für die Schule sein sollte, auch wirklich geführt wird.
- Die Schule sollte geprägt sein von der Region, in der sie liegt und von der sie ein Teil ist, so daß die aus allen Regionen Europas stammenden Kursteilnehmer die intensive qualitative Erfahrung machen, zu Gast bei einer anderen Identität gewesen zu sein.
- Community colleges gehen von einer Selbstfinanzierung der Kursteilnehmer aus und bieten Unterricht ohne Prüfungen an – dies um zu garantieren, daß die Kursteilnehmer kommen, um etwas zu lernen, und sie Zeit haben, etwas zu lernen.
Der springende Punkt muß nicht sein, daß wir eines Projektes bedürfen (vgl. oben). Wir können das Projekt selbst angehen. Meiner Ansicht nach sollten die sozialliberalen Parteien überall in Europa für solch ein Projekt arbeiten.
Synspunktet blev bragt i Nordschleswiger den 2. august 2000. Rubrik og underrubrik er formentlig konciperet af redaktionen på Nordschleswiger.
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